Beschäftigtendatenschutz: EU-Parlamentarier fordern „Recht auf Nichterreichbarkeit“

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Die Überwachung von Beschäftigten durch Arbeitgeber gibt immer wieder Anlass für Diskussionen und auch für gerichtliche Auseinandersetzungen. Aus der Perspektive der Unternehmen ist das Interesse an der Sammlung und Verarbeitung von Daten – sei es zur Leistungsüberwachung oder im Rahmen der alltäglichen digitalen Zusammenarbeit – zwar nachvollziehbar, doch Behörden und Gerichte knüpfen an Überwachungsmaßnahmen je nach Einzelfall strenge Anforderungen oder untersagen diese sogar gänzlich.

Das ArbG Berlin etwa entschied 2019, dass die Arbeitszeiterfassung mittels Fingerprints regelmäßig nicht erforderlich sei, da es sich dabei um ein besonders sensibles Datum handle und damit ein erheblicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers vorliege. Biometrische Erfassungssysteme, insbesondere solche, die mit Fingerabdruck- oder Iris-Scans arbeiten, dürften lediglich etwa im Zusammenhang mit Sicherheitsschranken zu besonders gefährdeten Schutzgütern zulässig sein.[1] In einem weiteren Beispiel verhängte die nordrhein-westfälische Landesdatenschutzbehörde ein Bußgeld gegen eine Kanalreinigungsfirma, die ihren Angestellten mithilfe der Ortungsdaten seines Firmenwagens trackte.[2] Bei jeder Haltezeit von mehr als 60 Sekunden wurde das Fahrzeug geortet, die GPS-Daten zeichneten ein detailliertes Bewegungsprofil. In aller Regel müssen sich die Arbeitgeber mit einer Verarbeitung der Positionen in Echtzeit begnügen. Nur in Ausnahmefällen könne eine längerfristige Verarbeitung der GPS-Daten eines Dienstwagens gerechtfertigt sein, etwa bei Geldtransportern oder Rettungsfahrzeugen.

Kontrolle von „Faulenzern“ im Homeoffice?

Die im Kontext der Corona-Pandemie zunehmende Umstellung auf das Homeoffice macht den Konflikt zwischen Datenschutz und dem – teilweise – berechtigten Interesse des Arbeitgebers, eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung zu kontrollieren, besonders deutlich. Eine etwaige Einwilligung des Arbeitnehmers in die Überwachung ist dabei oft nicht ausreichend – das maßgebliche Kriterium der Freiwilligkeit kann nicht pauschal bejaht werden. So ist besonders die im Beschäftigungsverhältnis grundsätzlich bestehende Abhängigkeit vom Arbeitgeber zu berücksichtigen, wobei neben der Art der zu verarbeitenden Daten und der Eingriffstiefe unter anderem auch der Zeitpunkt der Einwilligungserteilung – etwa vor Abschluss des Arbeitsvertrages – Anhaltspunkte für oder gegen die Freiwilligkeit geben kann.[3] Diese kann vorliegen, wenn der oder die Beschäftigte im Gegenzug rechtliche oder wirtschaftliche Vorteile wie beispielsweise die Erlaubnis, betriebliche IT-Systeme privat zu nutzen, erlangt.[4] Das trifft jedoch nicht zwangsläufig zu.

Gerade in der aktuellen Situation, in der Arbeitgeber vorbehaltlich entgegenstehender zwingender betrieblicher Gründe verpflichtet sind, ihren Mitarbeitern Homeoffice anzubieten[5], dürfte ein etwaiger Vorteil noch weniger anzunehmen sein als dies ohnehin schon der Fall ist.[6] Besonders bei präventiven Maßnahmen, d.h. wenn Mitarbeiter im Homeoffice ohne konkreten Tatverdacht überwacht werden sollen, ist hinsichtlich der Erforderlichkeit der Kontrollen ein strenger Maßstab anzulegen und der konkrete Einsatz sorgfältig abzuwägen.[7] Arbeitnehmer im Homeoffice unter Generalverdacht zu stellen wäre zudem nicht nur destruktiv, sondern in einigen Fällen auch schlicht falsch: Viele Menschen arbeiten am heimischen Arbeitsplatz effizienter als im Büro und danken die gewonnene Flexibilität mit gesteigerter Produktivität.[8]

Neues Beschäftigtendatenschutzgesetz ist in Arbeit

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) arbeitet derweil an einem neuen Beschäftigtendatenschutzgesetz, um die widerstreitenden Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern – Privatsphäre und Schutz vor Dauerüberwachung auf der einen, Analyse, Effizienzsteigerung und Kontrolle der Arbeitsabläufe auf der anderen Seite – zu einem gerechten Ausgleich zu führen. Ein unabhängiges, interdisziplinäres Expertengremium soll hierfür konkrete Empfehlungen erarbeiten.[9] Es gebe Lücken beim Datenschutz für Beschäftigte, die zu schließen seien: So sollen Grenzen für die Überwachung am Arbeitsplatz gezogen werden und mehr Rechtssicherheit für Arbeitgeber und Beschäftigte geschaffen werden.[10] Der Abschlussbericht des Expertenbeirats wurde für April 2021 in Aussicht gestellt.[11]

EU-Parlamentarier fordern „Recht auf Nichterreichbarkeit“

Ein Aspekt, der für viele Angestellte eine Schwierigkeit im Verhältnis Arbeitszeit zu Freizeit darstellt, ist die manchmal ausdrücklich geforderte, manchmal schleichend etablierte ständige Erreichbarkeit. Natürlich führt die (grundsätzlich positiv hervorzuhebende) Flexibilität bei der Arbeitseinteilung dazu, dass hin und wieder Besprechungen auch spät abends stattfinden und am Sonntagnachmittag doch noch eben das E-Mail-Postfach gecheckt wird. Auch im EU-Parlament wird daher immer wieder debattiert, wie eine angemessene Lösung gefunden werden kann. Eine Mehrheit der Parlamentsabgeordneten hat sich nun in einer Resolution dafür ausgesprochen, ein „Recht auf Nichterreichbarkeit“ für Angestellte im Homeoffice zu etablieren.[12] Die Digitalisierung und die angemessene Nutzung digitaler Werkzeuge böten zahlreiche wirtschaftliche und gesellschaftliche Vorteile für beide Seiten: mehr Autonomie, eine potenziell bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben oder der Wegfall von Pendelzeiten. Doch damit verbunden sei auch ein „ständiges Verbundensein“, das konstante Erreichbar-sein-müssen – ob nun faktisch oder gefühlt – wirke sich nachteilig beispielsweise auf die körperliche und geistige Gesundheit und die Sicherheit am Arbeitsplatz aus. Auch Aspekte der Gleichstellung zwischen Männern und Frauen werden berührt. Eine transparentere und verlässlicher planbare Beschäftigung bedeute besonders für Eltern oder pflegende Angehörige – Aufgaben, die nach wie vor überwiegend von Frauen wahrgenommen werden – eine Erleichterung.[13]

Der ausformulierte Gesetzesvorschlag sieht vor, dass unter „Nichterreichbarkeit“ zu verstehen ist, „dass außerhalb der Arbeitszeit weder direkt noch indirekt mittels digitaler Werkzeuge arbeitsbezogene Tätigkeiten ausgeübt werden oder arbeitsbezogene Kommunikation erfolgt“[14]. Ausdrücklich sollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Nichterreichbarkeit Gebrauch machen wollen, vor nachteiligen Folgen wie Entlassung oder anderen Sanktionen, aber auch vor diskriminierenden Maßnahmen wie dem Verlust von Einkommen oder Beförderungsmöglichkeiten geschützt werden.[15]

Die genaue Umsetzung der Vorgaben bleibt dabei den Mitgliedsstaaten überlassen.[16] In Deutschland sieht man anscheinend diesbezüglich keinen Handlungsbedarf, schließlich seien Arbeitnehmer ohnehin mit Blick auf das Arbeitsrecht schon jetzt nur im Rahmen der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit zur Erreichbarkeit verpflichtet.[17] Dazu, dass die Realität in vielen Fällen von dieser Sichtweise abweicht und teils zumindest mit indirekten Nachteilen zu rechnen ist, wenn man früher oder häufiger „abschaltet“ als andere Kollegen, schweigt das Ministerium.

Fazit

Der Vorstoß des EU-Parlaments ist sicherlich zu begrüßen. Allerdings ist noch nicht absehbar, wann – und mit welchem Inhalt – die vorgeschlagene Richtlinie tatsächlich beschlossen wird und auch die Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten bleibt abzuwarten. Der Ansicht des Parlaments, dass einheitliche Mindeststandards und mehr Rechtssicherheit in der Union erforderlich sind und eine Kodifizierung eines („Grund-“)Rechts auf Nichterreichbarkeit ein wünschenswertes Ziel darstellt, ist dennoch bereits jetzt zuzustimmen.


[1] ArbG Berlin, Urt. v. 16.10.2019 – 29 Ca. 5451/19, vgl. hierzu Ernst, jurisPR-ITR 4/2020, Anm. 6.

[2] Vgl. Fanta, Wie deutsche Firmen ihre Beschäftigten mit Kameras und GPS überwachen, Netzpolitik.org, 21.10.2019, dort auch zum Folgenden.

[3] BT-Drs. 18/11325, S. 97.

[4] BT-Drs. 18/11325, S. 97.

[5] So § 2 Abs. 4 der ab 27.01.2021 geltenden SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchV).

[6] Vgl. Frank/Heine, BB 2021, 248, 248 (m.w.N.).

[7] Vgl. Frank/Heine, BB 2021, 248, 249 f.

[8] Vgl. etwa Studie zu Homeoffice: Weniger Stress, mehr Produktivität, Tagesschau.de, 22.07.2020.

[9] Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft: Beirat zum Beschäftigtendatenschutz, Siehe auch Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Warum Beschäftigtendatenschutz wichtig ist, 16.06.2020, dort auch zum Folgenden.

[10] Vgl. Fanta, Wie deutsche Firmen ihre Beschäftigten mit Kameras und GPS überwachen, Netzpolitik.org, 21.10.2019.

[11] Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft: Beirat zum Beschäftigtendatenschutz.

[12] Europäisches Parlament, Bericht mit Empfehlungen an die Kommission zum Recht auf Nichterreichbarkeit (2019/2181(INL)), zum Folgenden ebd., S. 5 f.

[13] Vgl. auch ErwGr. 12 zum Entwurf für eine Richtlinie über das Recht auf Nichterreichbarkeit (Vgl. Fn. 11).

[14] Art. 2 Abs. 1 des Entwurfes für eine Richtlinie über das Recht auf Nichterreichbarkeit (Vgl. Fn. 11).

[15] ErwGr. 26 zum Entwurf für eine Richtlinie über das Recht auf Nichterreichbarkeit (Vgl. Fn. 11).

[16] Vgl. Art. 4 des Entwurfes für eine Richtlinie über das Recht auf Nichterreichbarkeit (Vgl. Fn. 11)

[17] Vgl. Fanta, EU-Abgeordnete fordern „Recht auf Abschalten“, Netzpolitik.org, 21.01.2021.

Sämtliche Links wurden zuletzt am 21.01.2021 abgerufen.