Gericht
AG Göttingen
Datum
04.05.2011
Aktenzeichen
62 Ds 51 Js 9946/10 (106/11)
Branche/ Lebenslage
- SIM-Lock,
- SIM-Lock-Sperre,
- Fälschung beweiserheblicher Daten,
- Datenveränderung,
- Veränderung beweiserheblicher Daten,
- § 269 StGB,
- § 303a StGB
Akteure
- Täter,
- Opfer
Wer haftet?
- Täter
Haftungsart
- Freiheitsstrafe oder Geldstrafe
Haftungsumfang
- Hier: Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten zur Bewährung ausgesetzt; Verfahrenskosten
Haftungsbegründendes Verhalten
Erfüllung der Straftatbestände der Fälschung beweiserheblicher Daten, § 269 StGB, und der Datenveränderung, § 303a StGB
Technische Umstände
Unbefugte Aufhebung eines SIM-Locks bei Mobiltelefonen
Persönliche Umstände
Vorsätzliche, rechtswidrige und schuldhafte Begehung einer Straftat
Möglichkeiten der Haftungsvermeidung
–
Zitate, Zusammenfassende Würdigung, Strategien zur Haftungsvermeidung
Der Angeklagte hat gegen Entgelt sog. SIM-Lock-Sperren und sonstige Verwendungsbeschränkungen bei Mobiltelefonen aufgehoben.
Bei einem sog. SIM-Lock handelt es sich um eine Sperre, aufgrund derer ein Mobiltelefon nur mit der Telefonkarte eines Mobilfunknetzbetreibers betrieben werden kann.
„Dieser SIM-Lock ist Teil des im Speicher des Mobiltelefons abgelegten Betriebssystems des Mobiltelefons und überprüft sowie vergleicht bei dem Aktivierungsversuch den Typ und die Seriennummer der SIM-Karte mit den im Speicher des Mobiltelefons abgelegten Daten. Stimmen diese Daten nicht überein, wird die Aktivierung der SIM-Karte unterbunden. Durch den SIM-Lock stellen die Mobilfunknetzbetreiber u.a. sicher, dass das von ihnen zusammen mit dem Abschluss eines Mobilfunkvertrages oder unter gleichzeitiger Ausgabe einer Prepaid-Karte unter dem Marktpreis veräußerte Mobiltelefon nur in einem vorbestimmten Netz betrieben werden kann“ (juris Rn. 9).
Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, den SIM-Lock in 50 Fällen aufgehoben zu haben.
Nach Auffassung des AG Göttingen ist die unbefugte Aufhebung eines SIM-Locks, der ein Handy nur mit bestimmten SIM-Karten, Providern oder Netzen benutzbar macht, als Fälschung beweiserheblicher Daten (§ 269 StGB) und Datenveränderung (§ 303a StGB) strafbar (juris Rn. 40).
Der SIM-Lock stellt eine vom Netzbetreiber implementierte Sperre gegen die Nutzung des subventioniert vertriebenen Handys dar, an dessen Änderung sich der Netzbetreiber die Rechte ausdrücklich vorbehalten hat, indem er die Abschaltung des SIM-Locks während der vereinbarten Mindestvertragslaufzeit (Vertragshandys) bzw. bei Prepaid-Handys von der Zahlung eines Kompensationsbetrages abhängig macht und den zur Deaktivierung erforderlichen Code auch nach dem Ablauf der Vertragslaufzeit erst nach einer im Einzelfall einzuholenden Zustimmung zur Veränderung der Daten mit dem Ziel des Abschaltens des SIM-Lock mitteilt. Mit der Abschaltung des SIM-Locks wird mithin in ein fremdes Nutzungsrecht eingegriffen, das dem jeweiligen Mobilfunkvertrag immanent ist (juris Rn. 42).
Das führe zu einer Strafbarkeit gem. §§ 303a Abs. 1, Abs. 3, 303c StGB (Datenveränderung).
Das Entfernen des SIM-Locks erfülle auch den Tatbestand des Fälschens beweiserheblicher Daten (hier: Strafbarkeit nach §§ 267 Abs. 3 S. 2 Nr. 1, 269 Abs. 1, Abs. 3, 270 StGB), da § 269 StGB über den Geltungsbereich des § 202a Abs. 2 StGB hinausgehend auch Daten im Eingabestadium bzw. Zugangsberechtigungen erfasse.
Der Speicherbereich (EPROM/EEPROM) des Mobiltelefons enthält beweiserhebliche Daten im Sinne des § 269 Abs. 1 StGB und nicht lediglich ein Datenverarbeitungsprogramm (vgl. Schönke/Schröder-Cramer StGB26 § 269 RN 8). Befindet sich der EPROM/EEPROM im Ausgangszustand, beinhalten die gespeicherten Daten die konkludente Erklärung des ausgebenden Telekommunikationsunternehmens, dass der Benutzer des Mobiltelefons berechtigt ist, dieses (nur) mit der zunächst ausgegebenen SIM-Card des ursprünglichen Netzbetreibers zu benutzen. Die durch den Angeklagten veränderten Daten haben den Anschein einer Gedankenerklärung erweckt, deren Abspeicherung möglich war, womit auch das Merkmal einer (hypothetischen) dauerhaften Verkörperung vorlag (= Perpetuierungsfunktion). Durch die Manipulationen, die der Angeklagte mit der Beseitigung der SIM-Lock-Sperren vorgenommen hatte, ist dem EPROM/EEPROM die konkludente Aussage verliehen worden, dass der Benutzer des Telefons dieses in jedem beliebigen Mobilfunknetz betreiben könne, da es (entweder von Beginn an oder aber nach Abschaltung in zulässiger, vom Netzbetreiber regulär vorgesehener Weise) keinen SIM-Lock (mehr) enthalte. Damit ist die Beweisrichtung der gespeicherten Erklärung geändert worden (juris Rn. 51).
ANMERKUNGEN
Das AG Göttingen bejaht eine Strafbarkeit der unbefugten Aufhebung von SIM-Lock-Sperren wegen Fälschung beweiserheblicher Daten und Datenveränderung (vgl. ebenso AG Nürtingen, Urt. v. 20.09.2010 – 13 Ls 171 Js 13423/08).
Diese Entscheidung stieß in der rechtswissenschaftlichen Literatur auf Ablehnung (vgl. ausführlich Cornelius, Münchener Anwaltshandbuch IT-Recht, 3. Auflage 2013, Teil 10 Rn. 321 ff.). So sei das Entfernen eines SIM-Locks zwar vertragswidrig, nicht jedoch strafbar, wie eine Auseinandersetzung mit den jeweils geschützten Rechtsgütern zeige (so Neubauer, MMR 2011, 628). Die Frage der Strafbarkeit des Entfernens einer SIM-Lock-Sperre bei einem Handy wird kontrovers diskutiert und ist nicht abschließend höchstrichterlich geklärt.