Gericht
BGH
Datum
31.01.2007
Aktenzeichen
StB 18/06
Branche/ Lebenslage
- Verdeckte Online-Durchsuchung,
- verdeckte Ermittlungsmaßnahme,
- fehlende Ermächtigungsgrundlage
Akteure
- Betroffener,
- Ermittlungsbehörde
Wer haftet?
- Antrag auf verdeckte Online-Durchsuchung ist unzulässig
Haftungsart
- –
Haftungsumfang
- –
Haftungsbegründendes Verhalten
Eine Ermittlungsmaßnahme, die nach Sinn und Zweck auf die Offenheit des Vorgehens und Anwesenheit des Betroffenen ausgelegt ist, kann nicht als verdeckte Maßnahme angeordnet werden
Technische Umstände
Bei verdeckter Online-Durchsuchung wird dem Betroffenen die Möglichkeit genommen gegen die Maßnahme vorzugehen und diese rechtlich überprüfen zu lassen
Persönliche Umstände
–
Möglichkeiten der Haftungsvermeidung
Strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen bedürfen immer einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage; die Voraussetzungen der Befugnisse dürfen nicht durch ein verdecktes Vorgehen außer Kraft gesetzt werden, wenn das verdeckte Vorgehen nicht durch die Befugnisnorm selbst vorgesehen ist
Zitate, Zusammenfassende Würdigung, Strategien zur Haftungsvermeidung
Mit der vorliegenden Entscheidung wurde die Beschwerde des Generalbundesanwalts gegen die Entscheidung des Ermittlungsrichters verworfen. Der Ermittlungsrichter hatte den Antrag abgelehnt, bei dem Beschuldigten eines Ermittlungsverfahrens (Verdacht der Gründung einer terroristischen Vereinigung) die Durchsuchung seines Computers vorzunehmen. Die Maßnahme sollte durch Aufspielen eines hierfür speziell konzipierten Computerprogramms auf den Rechner des Beschuldigten verdeckt gestattet werden.
Das Gericht verwies auf das Fehlen einer, für die beabsichtigte Maßnahme zwingend vorausgesetzten, Ermächtigungsgrundlage:
Zu Recht hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs die verdeckte Online-Durchsuchung, die erheblich in Grundrechte des Betroffenen eingreift, nicht gestattet; denn es fehlt an der erforderlichen formell-gesetzlichen Befugnisnorm.
§ 102 i.V.m. § 110 StPO und § 94 ff StPO deckten nicht die verdeckte Online-Durchsuchung. §§ 102 ff StPO (Durchsuchung) setzten schon die körperliche Anwesenheit der Ermittlungsbeamten voraus. Dies zeige die Systematik der Strafprozessordnung:
Das Bild der Strafprozessordnung von einer rechtmäßigen Durchsuchung ist dadurch geprägt, dass Ermittlungsbeamte am Ort der Durchsuchung körperlich anwesend sind und die Ermittlungen offenlegen.
Es sei ohnehin schon nicht zulässig, dass die Ermittlungsbehörden eine Durchsuchungsanordnung bewusst heimlich durchführen, eine verdeckte Durchsuchung könne damit auch nicht angeordnet werden. Die verdeckte Durchsuchung setze gerade die Schutzvorschriften im Bereich der Durchsuchung außer Kraft.
Insbesondere sei zu gewährleisten, dass der Betroffenen sich aufgrund der Kenntnis von Ermittlungsmaßnahmen rechtlich zur Wehr setzen kann. Die Hinzuziehung körperlich Anwesender dürfe nicht aus ermittlungstaktischen Gründen unterbleiben, um den Betroffenen über die Durchsuchung und die geführten Ermittlungen in Unkenntnis zu halten:
Nach alledem ist es den Ermittlungsbehörden – unabhängig davon, wonach gesucht wird – verboten, eine richterliche Durchsuchungsanordnung bewusst heimlich durchzuführen, um auf diese Weise dem Tatverdächtigen keine Hinweise auf die gegen ihn geführten Ermittlungen zu geben und den Erfolg weiterer Ermittlungen nicht zu gefährden. Dementsprechend versteht es sich, dass ein Richter keine Durchsuchung anordnen darf, die – wie die verdeckte Online-Durchsuchung – von vornherein darauf abzielt, bei ihrem Vollzug die gesetzlichen Schutzvorschriften des § 105 Abs. 2 und des § 106 Abs. 1 StPO außer Kraft zu setzen.
Im Vergleich zur Durchsuchung der Wohnung mit körperlich anwesenden Beamten sei die Eingriffsintensität der verdeckten Online-Durchsuchung besonders hoch, weil dem Betroffenen keinerlei Abhilfemöglichkeiten geboten würden.
Dass die Durchsuchung nach § 102 StPO lediglich mit offenen Maßnahmen erfolgen dürfe, zeige bereits, dass andere Strafprozessnormen, welche verdeckte Ermittlungsmaßnahmen erlauben, dies nur unter ganz strengen Voraussetzungen tun.
Auch § 100a StPO (Überwachung der Telekommunikation) rechtfertige nicht die verdeckte Online-Durchsuchung. Selbst, wenn der Nutzer hierbei online wäre, sei nicht automatisch ein überwachbarer Telekommunikationsvorgang gegeben:
Die Maßnahme kann nicht auf § 100 a StPO (Überwachung der Telekommunikation) gestützt werden. Zwar muss der Computerbenutzer bei der Übertragung der zu durchsuchenden Daten an die Ermittlungsbehörde mit Hilfe des aufgespielten Computervirus „online“ sein, so dass diese[r] Bestandteil des ohnehin bestehenden Datenstroms [ist]. Jedoch wird dadurch die verdeckte Online-Durchsuchung nicht zur Telekommunikation.
Auch weitere Eingriffsnormen seien auf den vorliegenden Fall der Online-Durchsuchung nicht einschlägig.
ANMERKUNGEN
Zum Zeitpunkt der Entscheidung wurden in der StPO als verdeckte Maßnahmen die Überwachung der Telekommunikation und die Wohnraumüberwachung sowie der Einsatz technischer Mittel geregelt. Keine dieser Befugnisse umfasste jedoch das elektronische Durchsuchen des Computers des Betroffenen.
Der vorliegenden Entscheidung waren bereits zwei Beschlüsse von unterschiedlichen Ermittlungsrichtern des BGH vorausgegangen. Beide kamen bei vergleichbaren Sachverhaltskonstellationen zu unterschiedlichen Ergebnissen:
- BGH Ermittlungsrichter, 21.02.2006, 3 BGs 31/06: Hier sah der Ermittlungsrichter die Durchsuchung des Computers des Beschuldigten ohne sein Wissen durch die Befugnisnorm § 102 StPO gedeckt. Es wurde argumentiert, dass der Begriff der „Durchsuchung“ auch das Suchen nach elektronisch gespeicherten Daten umfasse.
- BGH Ermittlungsrichter, 25.11.2006, 1 BGs 184/06: In diesem Beschluss wurde die heimliche Überwachung des Computers des Betroffenen als unzulässig abgelehnt. Es handele sich um einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung. Eine gesetzliche Grundlage für einen Eingriff gebe es (bisher) nicht.
Entscheidung des BVerfG: Auch das Bundesverfassungsgericht hat das verdeckte Vornehmen von Ermittlungsmaßnahmen nur unter Befolgung von engen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen gestattet. Das BVerfG führte das Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme ein und stellte die engen Voraussetzungen auf, unter denen ein Eingriff in dieses Grundrecht überhaupt erst zulässig wäre (vgl. BVerfG, 27.02.2008, 1 BvR 370/07 und 1 BvR 595/07).
Gesetzesänderung: Die Online-Durchsuchung ist seit dem Inkrafttreten des Art. 3 des Gesetztes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens am 24. August 2017 mit der Neuregelung des § 100b StPO ausdrücklich gesetzlich normiert worden (mehr hierzu vgl. Beukelmann, NJW-Spezial 2017, 440). Die hier besprochene Entscheidung ist daher praktisch nur noch von geringer Bedeutung.