Zahlungsverpflichtung für hohe Mehrwertdienstekosten bei Schadsoftware

Gericht

BGH

Datum

23.11.2006

Aktenzeichen

III ZR 65/06

Branche/ Lebenslage

  • Private Internetnutzung,
  • Schadprogramm verursacht (angeblich) hohe Telefonkosten

Akteure

  • Telefonanschlussinhaber,
  • Teilnehmernetzbetreiber

Wer haftet?

  • offen (Zurückverweisung an Berufungsinstanz offen)

Haftungsart

  • Vertraglicher Anspruch

Haftungsumfang

  • Kosten für die Nutzung von Telefon-„Mehrwertdiensten“ (sog. 0190-Nummern)

Haftungsbegründendes Verhalten

Netzbetreiber hätte keinen Anspruch auf Zahlung von Mehrwertdiensten, wenn der Anschlussnutzer eine Vergütung nach den erhöhten Tarifen der 0910-Nummern für Verbindungen schuldet, die ein heimlich installierter sog. Dialer hergestellt hat.

Technische Umstände

Fraglich ob hier tatsächlich ein Dialerprogramm vorliegt oder ob „nur“ ein Spähervirus (Backdoor-Trojaner) installiert wurde. Funktionsweise ist derart unterschiedlich, dass eine Übertragung der Dialer-Rechtsprechung des BGH (Anm.: vgl. BGH v. 04.03.2004 – III ZR 96/03) nicht angezeigt ist.

Persönliche Umstände

Der Telefonnetzbetreiber und nicht der Anschlußinhaber trägt nach der Rechtsprechung des BGH (Anm.: vgl. BGH v. 04.03.2004 – III ZR 96/03) das Risiko der heimlichen Installation eines automatischen Einwahlprogramms (sogenannter Dialer) in einen Computer, das für den durchschnittlichen Anschlußnutzer unbemerkbar die Verbindungen in das Internet über eine Mehrwertdienstenummer herstellt, sofern der Anschlußnutzer dies nicht zu vertreten hat (Rechtsgedanke des § 16 Abs. 3 Satz 3 TKV).
Der Anschlussinhaber muss jedoch nachweisen, dass ein solcher Dialer (oder ein funktionsähnliches Schadprogramm) vorliegt.

Möglichkeiten der Haftungsvermeidung

Es obliegt dem Anschlussnutzer nach Auffassung des BGH (Anm.: vgl. BGH v. 04.03.2004 – III ZR 96/03) nicht, Vorkehrungen gegen sogenannte Dialer zu treffen, solange kein konkreter Hinweis auf einen Missbrauch vorliegt. Sollte die Funktion eines Backdoor-Trojaners dem eines Dialers entsprechen, kann diese Rechtsprechung angewandt werden.
Diese Tatsache muss jedoch grundsätzlich durch einen Sachverständigen festgestellt werden.

Zitate, Zusammenfassende Würdigung, Strategien zur Haftungsvermeidung

Der Beklagte ist als Kunde der Klägerin, bei welcher es sich um die Betreiberin eines Telekommunikationsnetzes handelt, Inhaber eines Telefonanschlusses. Zwischen den Parteien wurde ein Vertrag über die Bereitstellung eines ISDN-Telefonanschlusses geschlossen.

In der Folge berechnete die Klägerin dem Beklagten für von ihr hergestellte Verbindungen im Zeitraum vom 18. Februar bis 16. Mai 2001 sowie für die Bereithaltung des Anschlusses insgesamt 2.886,44 DM (= 1.475,81 €). Darin enthalten waren 2.341,90 DM (= 1.197,39 €) für Verbindungen zu mehreren Mehrwertdienstenummern. Diesen Betrag beglich der Beklagte nicht. Auf seinem Rechner wurde bei einer Überprüfung ein Schadprogramm der Kategorie „Backdoor-Explorer 32-Trojan“ festgestellt (juris Rn. 2).

Der Telefonanschlussinhaber macht geltend, dass das Schadprogramm einen sog. Dialer, ein sich heimlich selbst installierendes automatisches Einwahlprogramm, installiert habe. Durch diesen sei das unbemerkte Anwählen der berechneten Mehrwertdienste verursacht worden. Dies habe der Beklagte seiner Auffassung nach nicht zu vertreten.

Das Amtsgericht als Vorinstanz hat den Beklagten zur Zahlung der strittigen Verbindungsentgelte verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen.

Nach Ansicht des BGH ist die vorliegende Revision (aufgrund fehlerhafter Beweisaufnahme) begründet:

Ist zwischen einem Telefonanschlussinhaber und seinem Teilnehmernetzbetreiber strittig, ob und gegebenenfalls in welcher Weise sich ein auf dem Heimcomputer des Anschlussinhabers vorgefundenes Schadprogramm auf das Telefonentgeltaufkommen ausgewirkt hat, ist über die widerstreitenden Behauptungen ein Sachverständigengutachten einzuholen, es sei denn das Gericht verfügt ausnahmsweise über eigene besondere Sachkunde und legt diese im Urteil und in einem vorherigen Hinweis an die Parteien dar (juris Rn. 14, Leitsatz).

Es ist zwar grundsätzlich dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters überlassen, ob er seine eigene Sachkunde für ausreichend erachtet und deshalb von der Einholung eines Sachverständigengutachtens absieht (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 21. März 2000 – VI ZR 158/99 – NJW 2000, 1946, 1947). Die Grenze seines Ermessens hat das Berufungsgericht jedoch nicht eingehalten. (juris Rn. 14)

ANMERKUNGEN

In dem erstinstanzlichen Urteil (AG Stralsund, Urt. v. 8. August 2005, 91 C 114/04) wurde der Beklagte zur Zahlung der Mehrkosten verurteilt. Das Berufungsgericht (LG Stralsund, Urt. v. 22. Februar 2006 – 1 S 237/05) wies dagegen die Klage ab und stellte in seiner Entscheidung darauf ab, dass der Beklagte den Schaden nicht zu vertreten haben, da es für ihn keine Anhaltspunkte zur Sicherung seines PC gegen eine solche Schadsoftware gab. Das griff der BGH in seiner Revisionsentscheidung jedoch nicht auf und stellte auf eine fehlerhafte Beweiserhebung seitens des Berufungsgerichts ab. Es hätte ein Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen, da der Sachverhalt zur Beurteilung zu komplex war.

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