Digitalisierung und Vernetzung – Pharma 4.0 als (Corona-)Krisenlösung?

Pharma 4.0: ein Schlagwort, das verglichen mit Begrifflichkeiten wie Industrie 4.0, Big Data, Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) oder – thematisch differenzierter – mHealth bzw. eHealth innerhalb der rechtswissenschaftlichen Diskussion möglicherweise zwar seltener fällt, seinem Gehalt nach gleichwohl nicht minder bedeutsam ist. Denn die fortschreitende Digitalisierung nahezu aller rechtsrelevanter Bereiche erfasst ebenso den Gesundheitssektor, namentlich die Pharmaindustrie.

Zu nennen sind hierbei beispielsweise die Bereiche des sog. Patient Centricity („Patientenorientiertheit“) oder die Individualisierung von Medikamenten. Bei ersterem handelt es sich um einen „Trend“ im Gesundheitssektor, innerhalb dessen der Fokus im Rahmen entsprechender Leistungserbringungsprozesse nahezu gänzlich auf den Patienten verlagert wird: Ein Konzept, dessen Ziel es ist, in Abkehr zur reinen, gerade nichtindividualisiertenGesundheitsleistung, den Erwartungen, Bedürfnissen und Wünschen von Patienten Raum zu geben, um mit den im Wege der Korrespondenz gewonnen Daten die Personalisierung von (Medizin-)Produkten und Leistungsangeboten zu gewährleisten.[1] In anderen Branchen, etwa dem Einzelhandel, ist die sog. Customer Centricity bereits integraler Bestandteil diverser Vertriebs- und Marketingstrategien.[2]

I. Aktueller Bezug: Sars-CoV-2 stellt Deutschland vor Herausforderungen

Insbesondere dieser Tage, in denen das global zu medizinischen Herausforderungen führende Corona-Virus[3] respektive seine Auswirkungen schon bzw. noch sehr präsent sind, stellt sich die Frage, wie Vernetzung und Digitalisierung in Zeiten internationaler Betroffenheit einen schnellen, effektiven und gleichermaßen nachhaltigen, idealerweise gemeinsamen, Ausweg aus einer Pandemie[4] bewirken können.

So startete etwa das Netzwerk für PharmaSolutions(NetPhaSol), eine seit 2017 bestehende bundesweite Plattform für die Erforschung, Entwicklung und Vermarktung neuer Produkte, Technologien und Dienstleistungen mit 30 Unternehmen und 20 Forschungseinrichtungen aus Wirtschaft und Wissenschaft, im März 2020 die Kampagne „Find your Partner“. Ein durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördertes Projekt, das Vernetzung und Kooperation forciert und damit beispielhaft für zahlreiche Initiativen, die kooperative Impf- und / oder Wirkstoffentwicklung – in diesem Falle primär hinsichtlich des Corona-Virus – voranzutreiben erstreben, steht. Denn bislang forsch(t)en Pharmaunternehmen weltweit oftmals isoliert an Impfstoffen und antiviralen Mitteln (d.h. solchen zur Behandlung bereits infizierter Patienten).

Als weiteres Projekt zu erwähnen ist der an einem Wochenende Ende März 2020 seitens der Bundesregierung und sieben sozialer Initiativen ausgerichtete Hackathon gegen Corona und für Digitalisierung (#WirVsVirus). Ziel dieses Hackathon war und ist es, die mit dem Corona-Virus einhergehende Herausforderung als Gesellschaft zu bewältigen, indem gemeinsam Lösungen entwickelt und zugleich Wege etabliert werden, erfolgsversprechende Lösungen sodann im digitalen Raum zu vernetzen und ausbauen zu können. Der auf Kontinuität ausgerichtete digitale Beteiligungsprozess brachte insoweit innerhalb von 48 Stunden 28.361 Menschen zusammen, die gemeinsam an über 1.500 Lösungen arbeiteten. Diesem vielversprechenden Startschuss schließt sich nun die eigentliche Projektarbeit in Form der Lösungs-Erprobung und nutzerzentrierten Umsetzung an. Die besten 20 Projekte erhielten direkt einen Platz im sog. Solution Enabler Programm. Dieses beinhaltet unter anderem programmatische Begleitung und individuelles Coaching, unkomplizierte und bedarfsgerechte Versorgung mit Ressourcen, die schnelle Vermittlung von Expertise sowie Know-how, eine systematische Vernetzung, Clustering und (inter-)nationalen Austausch, um Synergieeffekte weiter nutzen zu können, Unterstützung bei der Pilotierung und Implementierung der Lösungen sowie finanzielle Förderung.[5] Neben den bereits qualifizierten 20 Teams konnten sich im Rahmen des dreistufigen Förderungsprozesses weitere Teams für das Solutions Enabler Programm bewerben. Auch standen Plätze für Teams und ggf. Einzelpersonen zur Verfügung, die zwar nicht am Hackathon teilnahmen, deren Lösungsansätze aber besonders relevant sind.

Während folglich drohende bzw. bereits akute Engpässe innerhalb pharmazeutischer Lieferketten bevölkerungsübergreifend für Unruhe, Besorgnis und Angst sorgen, werden die längst nicht erschöpften Potentiale im Bereich der Digitalisierung/Vernetzung von Entwicklung- und Produktionsprozessen bzw. -ketten als den zentralen Entwicklungskonzepten des modernen medizinischen und pharmazeutischen Bereichs gerade in schweren Zeiten zu zukunftweisenden Hoffnungsträgern.

II. Neue Perspektiven in der Pharmaindustrie dank Pharma 4.0

Das Phänomen Pharma 4.0 verlagert den Schwerpunkt von ehemals an festen Vorgaben ausgerichteten Produktionsprozessen hin zu intelligenten sowie vernetzen Systemen zur Echtzeitüberwachung, Simulation und Steuerung von Fertigungsprozessen.[6] Insoweit repräsentiert Pharma 4.0 jenen Teil des Internet of Things, der die Pharmaindustrie in all ihren Facetten beeinflusst. Konzeptionell handelt es sich um die Idee adaptiver und agiler Unternehmen, die sich neue – nach Möglichkeit individuell adaptierte – Technologien zu Nutzen machen, um Unternehmens- und Entscheidungsprozesse zu beschleunigen sowie in ihrer Flexibilität zu erhöhen. So ermöglichen leistungsstarke Systeme zur Gewinnung und Auswertung von Prozess- sowie Produktdaten die Verfügbarkeit wichtiger Informationen in Echtzeit, die sodann zur Optimierung nutzbar gemacht werden können.[7] Überdies erleichtern die entsprechenden Systeme die Einhaltung regulatorischer Anforderungen, welche etwa aus der sog. Good Manufacturing Practice (GMP), national verbindlichen Vorgaben oder einschlägigen EU-Richtlinien folgen.[8] Insgesamt verspricht die Produktion im Sinne von Pharma 4.0 dem zunehmend an Gewicht gewinnenden Bereich der personalisierten Medizin wegbereitend zu sein. Lösungen für Pharma 4.0 sind unter anderem Smart Devices, Software as a Service (SaaS), Enterprise Manufacturing Intelligence (EMI) oder Big Data. Im Ergebnis umfasst das Schlagwort Pharma 4.0 eine Fülle von Aspekten, die in Kombination für die Rettung weltweit akut bedrohter Menschenleben ein sehr hoffnungsvoller Lösungsweg zu sein scheinen. Und zwar ganz gleich, welcher Krankheitsauslöser im Einzelfall zu „bekämpfen“ ist.

  • Big Data als integraler Bestandteil der Digitalwirtschaft[9] meint den Umgang mit sehr großen Datenmengen, d.h. mit der Fülle an strukturierten und unstrukturierten Daten, die tagtäglich in Unternehmen anfallen und deren gezielte Auswertung und weitergehende Verarbeitung zusätzliche Erkenntnisgewinne und Prozessverbesserungen bringen kann
  • Enterprise Manufacturing Intelligence-Systeme (EMI-Systeme) sorgen für die Sicherstellung und intelligente Informationsdurchdringung in der unternehmensweiten Verfügbarkeit von Betriebsdaten und Leistungskennzahlen.[10]
  • Software as a Service (SaaS) ist ein Teilbereich des Cloud Computing. Als Bereitstellungsmodell für Anwendungssoftware über das Internet und andere elektronische Netzwerke ist SaaS der technologische Nachfolger des Application Service Providing (ASP).[11] Folglich handelt es sich bei SaaS-Lösungen um das (entgeltliche) Angebot zur Nutzung von (regelmäßig Standard-)Software für einen vertraglich vereinbarten Zeitraum.[12]
  • Bei Smart Devices[13]handelt es sich um eigenständige, mit Intelligenz ausgezeichnete Kleinstsysteme, die über das Internet of Things (IoT) vernetzt sind und mit anderen Smart Devices über WiFi, Bluetooth, Mobilfunk oder Nahfeldkommunikation (Near Field Communication, NFC) kommunizieren (können).[14] Als Beispiel zu nennen sind Smart Watches, digitale Sprachassistenten, Smart Wearables, Fitness-Tracker oder Hörgeräte. Zusammenfassend alle über die entsprechenden Sensoren verfügenden Alltagsgegenstände, die eigens erhobene Daten selbstständig verarbeiten können. Smart Devices werden sowohl im privaten Bereich als auch im Rahmen logistischer, industrieller oder produktionstechnischer Abläufe eingesetzt.
  • Good Manufacturing Practice (GMP) („Gute Herstellungspraxis“)bezeichnet als Oberbegriff die Gesamtheit der umfangreichen und differenzierten Vorgaben, die bei der Herstellung von Arzneimitteln zu beachten sind, mithin Grundsätze, die den hohen Standard der Qualität sowie Konformität von Arzneimitteln sichern sollen.[15]

Das Corona-Virus verdeutlichte unmittelbar, dass die Entwicklung neuer Impf- bzw. Wirkstoffe vor allem in Fällen unvorhergesehener Krankheitsszenarien nicht selten ein Wettlauf mit dem jeweiligen Erreger ist. Bereits am 25.03.2020 – d.h. rund zwei Wochen nach Einstufung des Corona-Virus als Pandemie – forschten nach Zählung des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller 55 Unternehmen an Impfstoffen gegen Sars-CoV-2; daneben testen zahllose weitere Konzerne wenigstens den Krankheitsverlauf bzw. die Symptome mildernde Medikamente.[16] Einhergehend wurden ehemals für andere Krankheitsbilder entwickelte Arzneimittel, die derzeit noch erprobt werden oder bereits genehmigt sind, auf ihre Wirksamkeit im Kampf gegen das Corona-Virus getestet. Doch diese Forschungs- und Entwicklungsarbeit war und ist, das wurde schnell offenkundig, kein nationaler, stiller Alleingang. Vielmehr stehen die Zeichen auf weltweite Kooperation. Insbesondere die in den betroffenen Ländern oftmals zeitversetzt auftretenden, in Form und Intensität variierenden medizinischen Auswirkungen und Folgen einer Pandemie zeigen unverkennbar, dass in der Branche der Medikamentenentwicklung eine enge, kooperative Vorgehensweise angezeigt ist. Plötzlich arbeiten kleine Biotechfirmen mit großen Pharmakonzernen zusammen, staatliche Forschungsinstitute und private Organisationen stehen in regem Austausch. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) partizipiert. Die Gesundheitsforschung fördernde Stiftungen und Organisationen (wie etwa die Gates-Stiftung oder der britischen Wellcome Trust) leisten Unterstützung finanzieller Art. Gemeinsames grenz- und institutionsübergreifendes (Inter-)Agieren scheint der Grundtenor der Pharmaindustrie in Zeiten pandemischer Zustände zu sein.

Deutlich wird, eine Krise wie die des Corona-Virus setzt gewaltige Ressourcen frei. Zeitgleich möchte ein jeder, der an der Forschung und Entwicklung beteiligt ist, freilich dennoch als Erster Erfolge verzeichnen. Immerhin ist der Wettlauf mit dem Erreger auch ein solcher um viel Ruhm und Geld. Und letzteres vermag einer (mutmaßlich lediglich) pandemiebedingten Harmonie am ehesten gefährlich werden. Daher bleibt abzuwarten, ob und in welcher Form sich die in der Pandemie herausgebildeten Allianzen auf Dauer halten werden.

III. Digitale Technologien im Gesundheitswesen: eHealth und mHealth

Neben den Potentialen von Pharma 4.0 sind langfristigbzw. mit Blick aufzukünftige, nochungewisseGesundheitsszenarien ferner die Phänomene des eHealth und des mHealth von zentraler Bedeutung. Denn beispielsweise sog. Wearables(direkt am Körper getragene Mini-Computer[17]), mittels derer Patientendaten nicht nur in Echtzeit überwachbar sind, sondern zugleich On-Demand-Analysen ermöglicht werden, versprechen gerade im Bereich der präventiven Krisenvermeidung oder zumindest -eindämmung, wertvolle Daten liefern zu können. Insgesamt aber sind sämtliche Medizinprodukte[18] geeignet, durch eHealth bzw. mHealth modifiziert und damit zu sog. smarten Produktenzu werden.

Electronic Health, kurz eHealth, meint (zusammenfassend) alle elektronisch unterstützten Aktivitäten und Systeme des Gesundheitswesens, wodurch Patientendaten sowie weitere medizinische Informationen über Entfernungen hinweg erhoben, verfügbar gemacht oder ausgewertet werden können.[19] Innerhalb der Autorenschaft wird eHealth tendenziell als Oberbegriff für die Summe elektronischer Anwendungen zur medizinischen Versorgung verwendet, wobei jedoch die definitorische Abgrenzung bzw. das teilweise synonyme Verständnis zu(r) „Telemedizin“ nicht einheitlich ist. Die Basis von eHealth-Anwendungen bilden moderne Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT).

Demgegenüber steht mHealth verkürzend für „mobile Health“, mithin englisch für mobile Gesundheit. Als Untergruppe von eHealth-Aktivitäten und -Systemen vereint der Begriff hierbei all jene medizinischen Angebote, die auf mobilen Geräten (etwa Computern, Smartphones, Tablets und ähnlichen Endgeräten) verfügbar sind, wobei im Rahmen der entsprechenden Kommunikationsprozesse Mobilfunktechniken sowie mobile und drahtlose Technologien zum Einsatz kommen.[20] Ziel dieser Innovation ist es, mittels der Verbindung von IT und mobilen Technologien die medizinische Versorgung flächendeckend nachhaltig auszubauen (insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen) sowie zu verbessern. Damit einher geht der Gedanke, vor allem Personen/Patienten, die zu privaten Zwecken auf mHealth-Software zurückgreifen, zu mehr Verantwortung im Umgang mit der eigenen Gesundheit zu verhelfen, mithin die allgemeine Gesundheitskompetenz zu schulen. Dies ist allem voran mit Blick auf den demographischen Wandel angezeigt.

Die Einsatzbereiche von mHealth-Lösungen sind derzeit thematisch bzw. qualitativ vielschichtig und variieren daher stark in ihren Adressatengruppen. Professionelle Angebote, die nicht etwa nur dem Fitness-Tracking dienen oder (breiten-)sportliche Thematiken zum Inhalt haben (sog. „Gesundheits-Apps“[21]), umfassen sämtliche Versorgungsbereiche, namentlich die der Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge, das Monitoring von Patienten sowie im Einzelfall Wellnessthemen; überdies versprechen mHealth-Angebote den administrativen Bereich (beispielsweise das Praxis- oder Klinikmanagement) zu unterstützen.[22]

  • Von Medizin-Apps (Medical Apps) fokussierte Nutzer sind insbesondere Patienten und/oder deren Angehörige sowie (berufsbedingt) Angehörige von Heilberufen.[23] Ziel ist es vor allem, die Nutzer im Rahmen ihres Genesungs- und Behandlungsprozess zu unterstützen.
  • Reine Gesundheits-Apps (Health Apps) hingegen, richten sich vordergründig an gesunde Nutzer und sollen – mit Blick auf einen gesunden Lebensstil – der Selbstvermessung sowie Selbstoptimierung dienen.[24]
  • Lifestyle-Apps als Unterfall der Gesundheits-Apps dienen ihrer Konzeption nach der Lebenserleichterung und Unterstützung gesunder und aktiver Menschen. [25] Ausweislich Erwägungsgrund 19 der europäischen Medizinprodukte-VO[26] handelt es sich bei Apps dieser Art jedoch ausdrücklich nicht um Medizinprodukte.

Potentielle Adressaten des jeweiligen Medizinproduktes sind infolge dessen sowohl Krankenkassen und Leistungserbringer als auch (schlicht) anderweitig Interessierte sowie Patienten bzw. Versicherte. Nachdem die Rechtslage nach wie vor unsicher ist, besteht der Markt für mHealth-Angebote derzeit (noch) überwiegend aus privaten Anbietern (sog. zweiter Gesundheitsmarkt). Der sukzessive Einstieg von Krankenkassen, Körperschaften und anderen Kostenträgern wird das Marktpotential entsprechender Produkte jedoch zukünftig gewiss beeinflussen, nachdem die wirtschaftliche Bedeutung dieses Industriezweiges bereits jetzt enorm ist.

Deutlich wird, dass anlässlich des Einsatzes von eHealth und/oder mHealth aufgrund der produkttypischen Konzeption denknotwenig zahlreiche, größtenteils (höchst) sensible personenbezogene (Gesundheits-)Daten verarbeitet werden. Neben den Disziplinen der Medizin bzw. der medizinischen Informatik, der Versorgungsforschung, der Kommunikationswissenschaft sowie Betriebs- und Volkswirtschaftslehre spielt demzufolge auch die Rechtswissenschaft, namentlich die Bereiche der IT-Sicherheit und des Datenschutzes, eine entscheidende Rolle. Und die Regelungsprämissen dieser Bereiche variieren zum Teil stark.

IV. Datenschutzrechtliche Aspekte: Gesundheitsdaten und Ortungsdaten im Fokus

Sensible Gesundheitsdaten werden spontan oftmals mit Informationen über individuelle Krankheitsparameter assoziiert. Dabei ist bereits die bloße Auskunft oder Diagnose, dass der „Patient“ hinsichtlich einzelner Bereiche bzw. insgesamt als „gesund“ gilt, ein wertvolles Datum. Der Verlauf und die Dauer der Behandlung, die zum Einsatz kommende Medikation sowie eine (anhaltende) Genesung bzw. Immunisierung sind gleichwohl nicht selten im zentralen Blickfeld der diese Angaben abfragenden Stellen.[27]

Die Erfahrungen mit Sars-CoV-2 zeigen, dass Digitalisierung und Gesundheit aus datenschutzrechtlicher Sicht nicht denknotwendig nur klassische Gesundheitsdaten wie beispielsweise Symptome oder Diagnosen als Schnittmenge haben. Vielmehr erhalten im Kontext der Covid-19-Ausbreitung auch weitere personenbezogene Daten, namentlich Ortungsdaten und Bewegungsmuster, nun einen Aussagewert mit Gesundheitsbezug.

Denn ein bislang erstmals sowie einzig anlässlich der Corona-Pandemie gleichermaßen umfassend wie kontrovers diskutiertes Thema war das der Handyortung, wodurch Infizierte und Kontaktpersonen ermittelt werden sollten, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Bereits zuvor hatten andere Länder ähnliche Wege eingeschlagen, etwa das israelische Gesundheitsministerium, das eine App entwickeln ließ, die Nutzer hinsichtlich des Kontaktes mit nachweislich Corona-Infizierten informieren sollte; dabei gestattete Israel dem Geheimdienst, Überwachungstechnologien einzusetzen, die eigentlich der Terrorbekämpfung vorbehalten waren.[28] Während sich Singapur und Österreich für Apps, die Bluetooth-Handshakes auswerten, entschieden, setzte China auf Kontrolle primär in Form von Gesichtserkennung.[29] Hingegen wurde hierzulande unter anderem diskutiert, ob und in welcher Form freiwillig[30] zur Verfügung gestellteBewegungsdaten nutzbar gemacht werden können.

Seit dem 07.04.2020 ist die sog. Corona-Datenspende-App des Robert Koch Instituts für iOS und Android-Geräte verfügbar. Nach Aussage ihrer Initiatoren soll die auf freiwilliger Basis sowie pseudonymisiert zu nutzende App – die in Kombination mit Fitnessarmbändern und Smartwatches verschiedener Hersteller funktioniert – ergänzende Informationen dazu liefern, wo und wie schnell sich das Corona-Virus national ausbreitet.[31] Auch die Corona-Warn-App der Bundesregierung, die von der Deutschen Telekom und SAP in Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut entwickelt wurde, ist inzwischen verfügbar und wurde bereits 15,6 Mio. Mal heruntergeladen.[32] Wenngleich seitens der Bundesregierung derzeit kein spezifisches Gesetz für die App geplant ist, könnte ein solches im Hinblick auf eine möglicherweise drohende (rechtswidrige) Diskriminierung von Nicht-Nutzern in Form eines faktischen Nutzungszwangs künftig noch folgen.[33] Eine Gruppe renommierter Datenschützer veröffentlichte jedenfalls schon jetzt einen entsprechenden Gesetzesentwurf.[34]

Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist insbesondere an die durch Art. 35 Abs. 1 Satz 1 DS-GVO vorgeschriebene Datenschutz-Folgenabschätzung zu denken, die immer dann durchzuführen ist, wenn eine Form der Verarbeitung, insbesondere bei Verwendung neuer Technologien, aufgrund der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung voraussichtlich ein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen zur Folge hat. Dies wäre bei der Corona-App zweifellos der Fall. Bisher erfolgte von offizieller Seite[35] zwar eine derartige Folgenabschätzung, diese wird jedoch heftig kritisiert.[36]

V. Fazit und Ausblick

Zweifelsfrei eignet sich Pharma 4.0 neben der Verbesserung der medizinischen Versorgungsleistung auchdazu, Wettbewerbsvorteile zu generieren. Allerdings nicht nur. Denn Pharma 4.0 ist gemeinsam mit den anderen Erscheinungsformen der Digitalisierung und Vernetzung Teil einer komplexen Gemengelage diverser Interessen(gruppen), deren Belange – trotz oder gerade wegen der wirtschaftlichen Potentiale von Digitalisierung und Vernetzung – umfassend zu berücksichtigen und zu würdigen sind.

Die Corona-Krise hat die Welt zusammenrücken lassen – und zwar gerade nicht physisch-persönlich, sondern mitmenschlich helfend und auf digitalem Weg. Die digitalen Netze Europas sind gefragter denn je, die Digitalisierung und Vernetzung zahlreicher Gesellschaftsbereiche in pandemischen Zeiten nahezu überlebensnotwendig. Gleichwohl dürfen selbst (medizinische) Extremsituationen nicht dazu verleiten, gewichtige Prinzipien zu missachten und (grund-)rechtliche Vorgaben zu ignorieren. Die unzähligen Potentiale der Digitalisierung repräsentieren spiegelbildlich zugleich die Fülle an in (mindestens) ebenso großer Zahl vorhandenen Missbrauchspotentialen.

Luisa Lorenz

Dieser Beitrag erschien erstmals im BayWiDI-Magazin 2/2020. Die vollständige Ausgabe finden Sie hier.


[1] Niestroj, Patient Centricity, Health&Care Magazin vom 19.06.2019, zuletzt abgerufen am 14.05.2020. 

[2] Niestroj, Health&Care Magazin vom 19.06.2019 (vgl. Fn. 1).

[3] Offizieller Name des Virus laut WHO: Sars-CoV-2; Name der aus dem Virus resultierenden Lungenkrankheit: COVID-19.

[4] Am 11.03.2020 stufte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) COVID-19 offiziell als Pandemie ein, WHO vom 11.03.2020, zuletzt abgerufen am 14.05.2020.

[5] Unterstützung nach dem #WirVsVirus Hackathon, zuletzt abgerufen am 14.05.2020.

[6] Vgl. Handelsblatt-online vom 28.02.2020, Pharma 4.0 – die neuen Wege in der digitalen Pharma- und Biotechproduktion, zuletzt abgerufen am 14.05.2020. 

[7] Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT, Pharma 4.0, zuletzt abgerufen am 14.05.2020.

[8] Vgl. Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT, Pharma 4.0 (vgl. Fn. 8).

[9] Weiterführend Paal/Hennemann, Big Data im Recht, Wettbewerbs- und daten(schutz)rechtliche Herausforderungen, NJW 2017, 1697.

[10] Heinz/Krämer/Riemenschneider/Seeger: Auf dem Weg zur allwissenden Fabrik – Vertikale Integration auf Basis kontinuierlicher Datenverarbeitung, Philipps-Universität Marburg, 2007, zuletzt abgerufen am 14.05.2020.

[11] Stiemerling/Hirschmeier, Software as a Service in der Praxis, Typische Konfliktfelder und Regelungsbedarf, ITRB 2010, 146.

[12] Gennen/Laue in Redeker, Handbuch der IT-Verträge, 40. Lieferung 02.2020, 1.17 Software as a Service (SaaS), Rn. 2.

[13] Weiterführend Kremer, Datenschutz bei Entwicklung und Nutzung von Apps für Smart Devices, CR 2012, 438.

[14] ITWissen.info, Smart Device, zuletzt abgerufen am 14.05.2020.

[15] Prinz, Die Good Manufacturing Practice (GMP) und ihre fehlende Verbindlichkeit für Apotheken, PharmR 2012, 16, 17.

[16] Bahnsen/Buchter/Malcher/Tatje, Die Weltenretter, ZEIT Online vom 25.03.2020, zuletzt abgerufen am 14.05.2020.

[17] Hierzu im Detail BSI, Wearables – direkt am Körper getragene Mini-Computer, zuletzt abgerufen am 14.05.2020. 

[18] Gemäß § 2 Abs. 1 Medizinproduktgesetz (MPG, in der konsolidierten Fassung vom 04.04.2020, BGBl. I Nr. 23/2020) sind Medizinprodukte insoweit alle Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Software, Stoffe oder anderen Gegenstände, einschließlich der vom Hersteller speziell zur Anwendung für diagnostische oder therapeutische Zwecke bestimmten und für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinprodukts eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen für die in Nr. 1 bis 4 normierten Zwecke verwendet werden und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann; Hinsichtlich der Gesetzeslage auf europäischer Ebene vgl. (noch) Art. 1 Abs. 2 lit. a) Medizinprodukte-RL (RL 93/42/EWG). Diese Richtlinie wird jedoch ab dem 26.05.2020 von der am 25.05.2017 beschlossenen Medizinprodukte-VO (EU 2017/745) abgelöst. Die entsprechend dieser Verordnung geltende Definition der Medizinprodukte normiert dann Art. 2 Nr. 1 Medizinprodukte-VO.

[19] Matusiewicz/Thielscher, Electronic Health (E-Health) und Mobile Health (mHealth) – Ein Definitionsversuch, in: Die Digitale Transformation im Gesundheitswesen, MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2017, S. 3.

[20] Vgl. Matusiewicz/Thielscher, MWV 2017, S. 5 (vgl. Fn. 19).

[21] Vertiefend hierzu, insbesondere hinsichtlich der regulatorischen und wettbewerbsrechtlichen Einordnung von Apps und anderer mHealth-Software: Dietel/Lewalter, mHealth-Anwendungen als Medizinprodukte – Vereinbarkeit mit dem HWG und Ausblick auf die neue EU-Medizinprodukteverordnung, PharmR 2017, 53.

[22] Matusiewicz/Thielscher, MWV 2017, S. 5 (vgl. Fn. 19).

[23] Klemperer/Schott/Aly/Lieb, Medizinische Apps: Vorsicht vor dem Einfluss kommerzieller Interessen der Hersteller in Arzneiverordnung der Praxis, 2018, S. 5, zuletzt abgerufen am 14.05.2020.

[24] Vgl. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Gesundheits-Apps (PDF), 2019, zuletzt abgerufen am 14.05.2020.

[25] Weiterführend zu den Lifestyle-Apps vgl. etwa Jandt/Hohmann, Life-Style-, Fitness- und Gesundheits-Apps – Laufen Datenschutz und Vertraulichkeit hinterher? DSRITB 2015, 17.

[26] ErwGr. 19 der Medizinprodukte-VO: „Es muss eindeutig festgelegt werden, dass Software als solche, wenn sie vom Hersteller speziell für einen oder mehrere der in der Definition von Medizinprodukten genannten medizinischen Zwecke bestimmt ist, als Medizinprodukt gilt, während Software für allgemeine Zwecke, auch wenn sie in Einrichtungen des Gesundheitswesens eingesetzt wird, sowie Software, die für Zwecke in den Bereichen Lebensstil und Wohlbefinden eingesetzt wird, kein Medizinprodukt ist. Die Einstufung der Software entweder als Produkt oder als Zubehör ist unabhängig vom Ort der Software und von der Art der Verbindung zwischen der Software und einem Produkt.“

[27] Zu den datenschutzrechtlichen Aspekten von Medizinprodukten Ortner/Daubenbüchel, Medizinprodukte 4.0 – Haftung, Datenschutz, IT-Sicherheit, NJW 2016, 2918.

[28] tagesschau.de, Hilft das Handy im Kampf gegen Corona?, 29.03.2020, zuletzt abgerufen am 14.05.2020.

[29] tagesschau.de vom 29.03.2020 (vgl. Fn. 28).

[30] Zu der Frage, ob Bürger zur Nutzung entsprechender Apps verpflichtet werden könnten, Theurer, Zugriff auf Handydaten in der Corona-Krise?, DRiZ 2020, 172.

[31] Pressemitteilung des Robert Koch-Instituts vom 07.04.2020, Mit Daten von Fitnessarmbändern und Smartwatches mehr über die Verbreitung des Coronavirus erfahren, zuletzt abgerufen am 14.05.2020.

[32] Statista, Anzahl der Downloads der Corona-Warn-App über den Apple App Store und den Google Play Store in Deutschland im Juli 2020, 13.07.2020 (zuletzt abgerufen am 16.07.2020).

[33] Greis, Corona-App soll Mitte Juni starten, golem.de vom 07.05.2020, zuletzt abgerufen am 14.05.2020

[34] Engeler/Marnau/Bendrath/Geuter, Vorschlag für ein Gesetz zur Einführung und zum Betrieb einer App-basierten Nachverfolgung von Infektionsrisiken mit dem SARS-CoV-2 (Corona) Virus (PDF), Version 1.0, 03. Mai 2020, zuletzt abgerufen am 14.05.2020.

[35] Vgl. aber die rund hundertseitige Datenschutz-Folgeabschätzung des Forums der InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung“ e.V. („FIfF“) für eine Corona-App, zuletzt abgerufen am 14.05.2020.

[36] Bock et al., Kritik an Datenschutzfolgenabschätzung für die Corona-Warn-App, Netzpolitik.org, 29.06.2020;  FIfF Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V., Pressemitteilung vom 29.06.2020, jeweils zuletzt abgerufen am 15.07.2020.